Geschrieben von Teerose am 18.03.2003, 16:27:
Artikel aus der Welt vom 08.03. (leider erst heute entdeckt)
Wurde eigentlich dieser interessante (leider etwas lange) Artikel schon mal gepostet? Ich habe nichts gefunden.
Hier ist er:
Ikonen aus grobem Korn
Nie h?tte Anton Corbijn farblose Streber fotografiert. Seine ?Superstars? hatten eine Aura und das Recht, Gott zu spielen
von Michael Pilz
Auch heute Abend wird in der beliebten Fernsehsendung ?Deutschland sucht den Superstar? ein kleiner, schmaler und gebeugter Mann auftreten. Der Notar. ?Die Ameise?, werden die M?dchen vor dem Fernseher wieder jubeln, wenn der gute Mann im dunkelbraunen Anzug auf die B?hne eilt, und wenn das Licht sich auf der hohen Stirn und in den starken Brillengl?sern spiegelt. Der Notar wird einen Umschlag ?berreichen. Darin wird der Zettel stecken, auf dem notariell beglaubigt steht, wen Deutschland sich zum anerkannten Superstar erw?hlt. Es ist dann amtlich.
Der Notar verr?t im Grunde alle Missverst?ndnisse, die aus der fehlerhaften, ungenauen ?bersetzung des Begriffes ?Superstar? ins Deutsche resultieren. Denn auf seine Weise ist auch der Notar durch seine Auftritte zum deutschen Superstar geworden. Ernsthaft, arbeitsam und unauratisch wie die Finalisten Alexander Klaws und Juliette Schoppmann. Weniger wie Daniel K?blb?ck, der gehen musste, weil ihm alles fehlt, was der Notar verk?rpert. Daniel K?blb?ck hatte Roy Orbison gekr?ht und schlie?lich noch den deutschen Feierabend-Biker tief gekr?nkt mit seiner denkw?rdigen Interpretation der Asphalthymne ?Born To Be Wild?. ?Ich m?chte auch mal den Rebellen spielen?, quakte Daniel K?blb?ck in Lederjacke. In Amerika, dem Mutterland der Superstars, w?re er spielend ins Finale eingezogen.
Zuf?llig kl?rt nun ein Buch ?ber das Missverst?ndnis auf. Es stammt von einem Holl?nder, dem Fotografen-Popstar Anton Corbijn. Corbijn hat den Blick gepr?gt, mit dem wir Superstars heute betrachten. Durch seine Tourneeplakate, Magazin- und Plattenh?llenfotos, auch durch ein paar Videoclips. Seine Ikonen sind von grobem Korn, kontrastreich, in der Regel streng schwarzwei?. Die Rolling Stones, U2 und David Bowie, Herbert Gr?nemeyer auch, als deutscher Superstar. F?r seinen neuen Band hat Corbijn erstmalig sich selber inszeniert.
Wie Daniel K?blb?ck schon in die Songs von Abba und den Bee Gees schl?pfte, kost?miert sich Anton Corbijn als Roy Orbison, John Lennon oder Freddy Mercury. Und zwar in Strijen, einem Kaff auf einer Insel, wo der kleine Anton Corbijn aufwuchs und noch nichts von Platten, Stars und Weltruhm ahnen konnte. Unter einem Windrad lacht der heimgekehrte gro?e Sohn von Strijen in die Ferne durch eine get?nte Brille, bunte B?nder in der M?hne: Anton-Janis Corbijn-Joplin.
Es gibt derzeit einen h?bschen Zeitvertreib: Man stellt sich echte Superstars wie Janis Joplin vor der ?DSDS?-Jury vor auf RTL. ?Oh Lord, won't you buy me a Mercedes Benz?? ?Du hast ja echt ne hammerm??ige R?hre?, w?rde Dieter Bohlen sagen. ?Und auch sonst hast du alles, was wir hier nicht brauchen k?nnen?. Thomas Bug, der Radiomann: ?Wir suchen S?nger, keine Entertainer.? Shona Frazer, Radiofrau: ?Kein Mann w?rde heute mit dir schlafen wollen.? Und das Plattenfirmen-Ekel Thomas Stein: ?Dein Mercedes klang wie ein altersschwacher Traktor. Versuch?s mal auf?m Hamburger Fischmarkt.? Deutschland w?rde kichern, Janis Joplin w?rde traurig zum Jack Daniels greifen.
Der Begriff des ?Superstars? kam nach dem Krieg nach Deutschland. Mit den Amerikanern und der notwendigen Umerziehung. Nur die Deutschen trauten diesem f?r sie hohlen Starwesen nie ganz. Denn ohne Flei? kein Preis, und Kunst kommt von K?nnen. Harte Arbeit, ordentliche Ausbildung und ein solider Lebenswandel blieben die Voraussetzungen f?r die T?tigkeit als deutscher Star. Hinzu trat die Kulturkritik der Frankfurter Schule: Waren?sthetik, Verblendungszusammenhang. Eisig blies der Wind den Stars hier stets von links und rechts entgegen. Anerkannte Rockidole wurden oberlehrerhafte Bands wie BAP und Langweiler wie Marius M?ller-Westernhagen.
Das wirkt alles nach in ?Deutschland sucht den Superstar?. Juliette kann singen, Alexander zeigt sich nett und lernbereit. Es gibt die alten M?nner an der Macht wie Thomas Stein und Dieter Bohlen, die sie formen zu adretten, austauschbaren Vorbildern f?r m?glichst viele junge Konsumenten. Die normale Stargenese wird so sehr beschleunigt und entzaubert, dass Konturen nicht mehr zu erkennen sind. Was bleibt, sind das trainierte N?schenkr?useln f?r die Sympathie (Juliette) und m?hsam einstudierte Demutsgesten (Alexander). Daniel wurde abgew?hlt, als er begann, Konturen zu entwickeln.
Deutsche m?gen es, wenn die Institutionen m?chtiger sind als die Menschen. Wir begr??en es, wenn eine Plattenfirma im Zusammenschluss mit einem Fernsehsender S?nger fertigt in solider, transparenter Wertarbeit. Wir sch?tzen Thomas Stein, er ist der Boss. Wir m?gen Dieter Bohlen, er ist lustig und ein Superstar des neuen Typs. Den Dieter Bohlens st?nde im Normalfall eine Viertelstunde Starruhm zu Gebote wie uns allen. In der Inflation der Stars genie?t er seinen Ruhm schon ziemlich lange. Wahre Superstars sind aber selten Freunde von Institutionen, Bossen oder Dieter Bohlens, die von ihnen leben.
Der Essayist Paul Morley hat in Anton Corbijns Buch geschrieben: ?Er (Corbijn) fotografiert die Form des Ruhms, als h?tte der Ruhm religi?se Implikationen, an die er glaubt und doch nicht glaubt. Er fotografiert Rockstars, die ihm am Herzen liegen, f?r eine Branche, die er verachtet. Das ist so, als glaubte man an einen Gott, aber nicht an die organisierte Religion. Er fotografiert den Ruhm, als w?re er Teil eines Traums und nicht das Ergebnis profitorientierter Organisationen. Er fotografiert das Individuelle am Ruhm, das in der Mitte verlorene Individuum, nicht die Industrie des Ruhms, den gleichmacherischen Glamour.? Corbijn setzt den Superstar, wie er wirklich ist, ins Licht.
Wer diese merkw?rdigen Fotos Anton Corbijns aufmerksam betrachtet und sie lesen lernt, beginnt zu ahnen, was es auf sich hat mit wahren, weltweit anerkannten Superstars. Mit Jugendtr?umen, Sehns?chten und dem entleerten Himmel unserer Zeit. Mit ihrer Tragikomik. Dabei lohnt es sich, auch Corbijns Lebenslauf zu kennen, der auf wunderbare Weise denen gro?er Popstars gleicht. Der Vater Anton Corbijns, Anton Corbijn senior, war in Strijen Pfarrer. Das bedeutete im Haus das Fehlen lasterhafter, essentieller Dinge. Fernseher, Plattenspieler, Radio, Rock?n?Roll und Alkohol, ein ganzes Zimmer war daf?r gef?llt mit Flaschendeckeln f?r die Dritte Welt. ?Ich kaufte mir Musikzeitschriften. Ich war ein sehr einsames Kind?, erinnert Corbijn sich.
Sein erstes Foto schoss er auf dem ersten Rockkonzert in Groningen. Die Kamera trug er herum, um mehr zu sein als nur ein Fan. Er kaufte Platten, starrte stundenlang beim H?ren auf die H?llen und erkannte durch die Rockmusik das Leben, das er mit der Kamera seiner Verg?nglichkeit fortan entrei?en wollte. Corbijn mied die Kunsthochschule, weil sie ihn nie aufgenommen h?tte. ?Technisch bin ich nicht sehr versiert?, gibt Corbijn zu. ?Aber es reicht, um das gew?nschte Gef?hl aufs Foto zu bringen. Die Unf?higkeit, es auf naheliegende Weise zu machen, kann zu deinem gr??ten Vorzug werden.? Vielleicht sp?ren seine Rockstars die Verwandtschaft, wenn sie sich um seine Dienste rei?en. Dieser stille, schwerm?tige, etwas sonderbare Riese mit der Leica ist wie sie.
F?r seine j?ngsten Fotos kehrte er zur?ck nach Strijen, um sich braun zu schminken und als Anton Hendrix in die eigene Kamera zu blinzeln. Er ist Anton Holly mit der gro?en Brille in der altmodischen, winzigkleinen Wohnung. Anton Cobain, Anton Bolan, Anton Curtis, Anton Drake, Anton Ramone: ?All diese Rockstars sind jetzt in meinem Dorf?. Der Superstar bleibt ?berall zu Hause.
Alexander Klaws ist neulich kurz nach Sendenhorst zur?ckgekehrt und Juliette Schoppmann heim nach Stade. Zu den Orten einer Kindheit zwischen New-Kids-On-The-Blocks-CDs, Ballettschule, Gesangslehrer und neiderf?llten Freunden. Die umschw?rmten Einser-Sch?ler hatten es ins Fernsehen geschafft, sie waren unver?ndert wieder da und standen winkend vor dem Rathaus. Weder tragisch, komisch noch geheimnisvoll. Die angehenden offiziellen deutschen Superstars.
In Anton Corbijns Welt ist ?Superstar? ein Unwort, das der Typ br?llt, der die T?r aufrei?t und soviel Wind macht, dass das Kerzenlicht erlischt. Der ?Superstar? ist ein Geheimnis und kennt viele R?tsel. Weshalb kauert Anton Marley auf der Schranke und tr?gt einen Fu?ball unterm Arm? Und was verbergen die verpackten Heuballen in Anton Zappas R?cken? Wer hat seinen Cadillac vergessen auf den M?llcontainern hinter Anton Presley? Anton Corbijn: ?Mir war aufgefallen, dass so viele Leute sich wie Elvis kleideten, und dass man bei dem komischen Rummel, der heutzutage um Ber?hmtheiten gemacht wird, kaum noch etwas leisten muss, um ber?hmt zu werden.? Was die toten Superstars geleistet haben, in die Anton Corbijn sich verwandelt? Sie leisteten sich eine derart starke, eigene Aura und die eigenwilligste Musik, dass sie die G?tter spielen durften, die wir ausgetrieben hatten. Anton Corbijn legte also einen Farbfilm ein, und seine, unsere G?tter leben fort.
Wer Superstars auf deutsche Weise sucht, wird keine finden. Wer das Land durchk?mmt, 10 000 Streber sichtet, ausliest und begeistert in die H?nde klatscht, wenn sie Madonna-Hits viel besser singen als Madonna, wei? nichts von der Welt. Der hofft, dass nichts Verst?rendes geschieht. Dass Daniel K?blb?ck nicht durch den B?hneneingang wiederkehrt und den Notar in seine Arme schlie?t. Dass niemand gr??er als man selber ist.
Anton Corbijn: A. Somebody, Strijen, Holland Schirmer Mosel, M?nchen. 84 S, 48 E.
Artikel erschienen am 8. M?r 2003
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